Evolution des Menschen zum handlosen Dings ohne Sinn.

Fingermaschinen

In der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 19. Oktober ist zu lesen, dass in unseren Gegenden im Verlauf der letzten dreissig Jahre fünfundsiebzig Prozent der Fluginsekten verschwunden sind. Ausgestorben! Auch Fische sterben aus, Vögel sterben aus, Blumen, Bäume, Pilze. Wahrscheinlich sind auch unzählige Einzeller und ähnliche Wesen massenhaft am Aussterben, nur zählt dort halt niemand. Die Evolution der Lebewesen habe mit den Einzellern begonnen, sagt man, und mit den zweifüssigen Säugetieren alias Mensch habe sie ihren zweifelhaften Höhepunkt erreicht.

Und dann? Vielleicht spielt sich das Aussterben nach dem gleichen «Drehbuch» ab. Dann sind wohl bald einmal wir, die Zweifüssler an der Reihe. Dass sie sich momentan immer noch rasant vermehren, könnte auf eine so genannte Angstvermehrung zurückzuführen sein – wie die Fichte, die ihren Tod nahen spürt und noch einmal das Maximum an Samen produziert – damit die Gattung vielleicht überlebe.

Aber dann, wenn auch die Gattung Mensch ausgestorben ist, was ist dann? Dann bleiben nur noch die Fingermaschinen übrig. Sie stehen da zu Abermillionen von Ost bis West, von Nord bis Süd, einsam und verlassen. Und sie verzehren sich danach, dass endlich wieder ein Finger komme und ihre «Enter»-Taste drücke. Aber sie warten vergeblich, kein Finger rührt sich mehr.

Weil das aber eine schreckliche Zukunftsperspektive ist, haben die Fingermaschinenerfinder und -programmierer gerade noch rechtzeitig die sprachgesteuerten Versionen ihrer digitalen (fingerigen!) Rechenmaschinen erfunden. Sie reagieren nicht mehr digital, also auf Fingerdruck, sondern vokal: «Sag nur ein einziges Wort und ich tue, was du willst», lautet die neue Betriebsanleitung. Und gerade noch rechtzeitig wurde die Restwelt mit Lautsprecheranlagen möbliert, die mit einer Endlos-Tonschleife ausgestattet sind: «Enter! Enter! Enter!…»

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Das ist ein Gastbeitrag von Erich Liebi.