Heidi, lass dein Haar herunter!

Über die Macht der Geschichten brauchen wir uns nicht im Detail zu unterhalten. Dass nämlich im Titel etwas falsch ist, merkt man sofort. Rapunzel war es, die von der Zauberin zum Herunterlassen der Haare aufgefordert wurde; Heidi hingegen – na, wer kennt Heidi nicht?

Aber will ich wirklich über Märchen schreiben?

Vor ein paar Tagen war ich an einer Sitzung, an welcher wir in grosser Runde darüber diskutiert haben, was eine gute von einer schlechten Website unterscheidet. Es fielen – wie so oft – die allgemeingültigen Stichwörter Innovation, Design, Content, Reason-Why, Call-To-Action-Elemente etc.

Nun fällt meine Stimmung per Naturgesetz einen Stock tiefer, wenn man mich mit denglischen Ausdrücken konfrontiert. Aber es ist gewiss einfacher, sich mit Innovationen zu schmücken, als von der Anwendung neuer Verfahren und Techniken zu sprechen. Und von Content reden, anstatt gute Inhalte zu fordern, macht aus jedem Assistenten einen Marketingprofi. Natürlich bedeutet nicht jedes Fremdwort das Ende der deutschen Sprache, aber anstelle von «Call-To-Action» zu palavern, könnte man von der Handlungsaufforderung an den Website-Besucher sprechen.

Dass Fremdwörter die Diskussion unter Fachleuten vereinfachen, lass ich nicht gelten. Zu oft hat man mir in ebengenannten Kreisen «Call-To-Action» mit «Ruf eine Aktion an» erklärt. Das erinnert an die legendäre Douglas-Werbung «come in and find out», wo es – ganz ehrlich! – nicht darum ging, wieder aus dem Laden zu finden.

Gute Websites unterscheiden sich von schlechten Websites durch den Inhalt und die Benutzerführung. Punkt. Will man Ihnen etwas anderes weissmachen, «rufen Sie einfach eine Aktion an» und verlassen Sie die Märchenstunde. 😉

Heidi war nun mal nicht im Turm eingesperrt. Ehrenwort.

Baustellenbeschriftungen.

Ein Artikel über die Baustellenbeschriftungen der Stadt Zürich hat im Tages-Anzeiger einige Kommentare provoziert. Beziehungsweise haben – um es in den Worten eines Redaktors der Süddeutschen Zeitung zu formulieren – einige Wichtigtuer, Besserwisser und Ewignörgler per Kommentarfunktion ihrem Unmut freien Lauf gelassen. Daneben haben auch zwei, drei Leser notabene auch lesenswerte Kommentare publiziert – auch das soll erwähnt sein.

Ich bin ein grosser Fan der Baustellenbeschriftungen, die unter der Verantwortung von Filippo Leutenegger seit gut einem Jahr in Zürich aufgestellt werden. Aber natürlich gäbe es Verbesserungspotenzial: Die Farbwahl ist gewöhnungsbedürftig, die Informationen sollten sowohl für Autofahrer und Velofahrer (grosse Typo, wenig Text) wie auch für Passanten (kleine Typo, mehr Text plus Webadresse plus QR-Codes) aufbereitet sein und die Tafeln müssten teils besser platziert werden. Solche Tafeln befriedigen – das ist meine bescheidene Meinung – ein wichtiges Informationsbedürfnis und müssten auf weiterführende Informationen, die man auf den regulären (orangenen und weissen) Umfahrungs- und Infotafeln der Dienstabteilung Verkehr nicht findet, verweisen. Mit einem QR-Code könnten die Passanten die Baustelleninformation im Web aufrufen, sich weiter einlesen, die Baustellenleitung kontaktieren, ein Lob als Kommentar hinterlassen (würde ganz sicher nie passieren) oder eine Reklamation formulieren (würde ganz sicher oft vorkommen). Aber jedenfalls wäre damit auch das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement im 21. Jahrhundert angekommen.

Übrigens: Nicht alle Kommentare beim Tagi-Artikel waren unsinnig. Dennoch erstaunt es mich immer wieder, wie bitterböse Autofahrer, Velofahrer und Fussgänger miteinander umgehen – und dies wohlgemerkt nicht nur im realen Leben, sondern auch im pseudoanonymen Schlachtfeld der Kommentarfunktionen.

#ichbinalt.

Das Ding da oben nennt man „Hashtag“ und vereinfacht auf sozialen Netzwerken im Internet die Verschlagwortung eines Textes und ermöglicht das automatisierte Zusammenführen von Inhalten unterschiedlichster Quellen.

Wenn ich solche Sätze schreibe, dann frage ich mich zeitweise ernsthaft, ob ich mit dem Internet meinen Lebensunterhalt verdienen will. Aber wie sagt man so schön: Hättest was Gscheites gelernt, dann…

Ja, dann wäre ich steinreich, Putin hätte die Krim in Ruhe gelassen, es würden weltweit keine Kriege wüten, im Mittelmeer keine Menschen ertrinken und im Netz keine Kreditkartennummern geklaut: #friedeaufderwelt

Wenn Sie nun aber erwarten, dass ich schlecht über Hashtags schreibe, dann irren Sie sich. Mir gefällt das Hashtag-Konzept für eine bessere Auffindbarkeit im Netz.

Was mich aber stört, sind Einträge, die ein banales Ferienfoto mit den Etiketten #food #ferien #ichfindsgeil #miami #sogeil #wahnsinn #ichwarda #immerwiedergerne #freunde #yeah etc. verschlagworten. Da würde ich ohne Zögern alle virtuellen Doppelkreuze aus dem Bildschirm saugen, einen realen Morgenstern basteln und mit vollster Wucht in die digitale Sphäre zurückschlagen.

Während früher unter einem gewöhnlichen Sonnenuntergangsbild schlicht „Sonnenuntergang auf Madeira“ stand, so liest man heute #madeira #sonnenuntergang #beautiful #geil #ichwarda #ip6photo.

Dass eine solche Verhäschtägung für Maschinen und newssüchtigen Menschen Sinn machen kann, bezweifle ich nicht.

Gleichzeitig empfinde ich es als Zumutung. Denn im Grunde sagt mir jeder inflationäre #Häschtägger: Wichtig ist nicht, was Du (Mensch!) liest, sondern dass es gefunden wird.

Die Lösung? Zuerst einen treffenden Bildtitel formulieren und dann einen oder zwei Hashtags dazu.

Oder – mir zuliebe – auch nur den Bildtitel. 😉