Scrollende Arthrose.

Seit Jahren gilt responsives Design als ein Muss für jede Website. Dem will ich – im Grundsatz – nicht widersprechen. Dass eine Website so programmiert wird, dass sie auf allen möglichen Ausgabegeräten gut aussieht, steht ausser Diskussion. Darauf basiert das Konzept des responsiven Designs: Es „reagiert“ auf das Ausgabegerät und liefert ein angepasstes Layout.

So entstehen Websites, die auf Bürobildschirmen mit grossflächigen Bildern und mehrspaltigen Inhalten trumpfen, gleichzeitig aber mit einem Handy in einer einspaltigen Darstellungsvariante besucht werden können.

Aber Web-Strategen, Designer, Schreiberlinge und Kunden denken leider zu oft das Konzept nicht in aller Konsequenz zu Ende. Nur weil sich ein Layout „responsiv“ verhält, beweist das nicht dessen Sinn.

Dass sich Inhalte – je nach Ausgabegerät – neu gruppieren und dynamisch verkleinern lassen, ist toll. Websites für Handys auf eine Spalte zu reduzieren, die Bilder zu verkleinern und die Navigation zu verpacken, mag verführerisch klingen, sie führen aber zu endlosen Scrollorgien, frühzeitiger Arthrose und abnehmender Benutzerfreundlichkeit.

Die einen drehen daher mittlerweile den Prozess um, bauen anfangs die Websites für Handys und passen das Layout dann den grossen Bildschirmen an. Was aber einzig das Vorzeichen ändert, die Problematik im Kern aber bestehen lässt.

Um was geht es also?

Responsives Webdesign ist ein Konzept, welches weit über die Gestaltung hinaus geht. Die intelligente Website passt sich optisch dem Ausgabegerät an, filtert und gruppiert die Inhalte sinnvoll und reagiert – bestmöglich – auf Ortschaft, Uhrzeit und Vorlieben des Benutzers.

Fast hätte ich mich im letzten Abschnitt zur Worthülse der Unternehmensphilosophie verleiten lassen.

Aber nein – ich lasse es lieber. Sie wissen ja, was ich meine.

Vertikal scrollen.

Kennen Sie das „F“-Wort, welches man gerne – ein bisschen abschätzig – einer Berufsgattung anfügt? Investoren-F… oder Design-F… oder Bauführer-F… oder was es sonst noch so an Berufen gibt. Leider darf ich es nicht ausschreiben, da mir sonst mein Verleger die Kolumne um die Ohren haut.

Jedenfalls ist mir das anrüchige Wort vor ein paar Tagen an einer Sitzung rausgerutscht. Gute Stimmung herrschte danach tatsächlich nicht mehr.

Die Diskussion hatte friedlich begonnen und wir waren uns am Tisch vieler Dinge einig geworden. Als ich aber erwähnte, dass ein höhenfixiertes Layout bei einer reinen Informationswebsite nicht so toll sei, ging die Diskussion – oder besser: die Auseinandersetzung – erst richtig los. Der Inhalt habe sich, so der verantwortliche Designer, nach dem vorgegebenen Layout zu richten und ein vertikales Scrollen käme auf gar keinen Fall in Frage. Es sei ja schliesslich nicht in der Verantwortung von Content-Schreiberlingen (sprich: die Menschen, die die Inhalte definieren, strukturieren und schreiben) über die Ausrichtung einer Website zu entscheiden. Ich hielt dagegen, dass Inhalte durchaus wichtig seien, zudem ein vertikales Scrollen von den Benutzern nicht als störend empfunden und ausserdem eine Fixierung der Websitehöhe dem Grundsatz der Geräteunabhängigkeit widersprechen würde.

Seine Antwort liess mich schaudern: „Das ist mir egal.“ Ich machte eine abschätzige Handbewegung und liess mich leider zur eingangs erwähnten Wortkombination verleiten.

Und dennoch endet die Geschichte im Sinne der Benutzerfreundlichkeit: Dem Kunden nämlich war der Wunsch des Designers egal. Und auch das „F“-Wort fiel während meinem Telefonat mit dem Kunden. Aber dieses Mal war ich unschuldig.

Schöne neue Welt.

In fünf bis zehn Jahren – so die Prognosen – werden wir ein komplett neues und erweitertes Leben führen. Möglich wird das nicht durch komische Drogen, sondern durch die „erweiterte Realität“.

Das Prinzip ist einfach: Handys, Brillen oder Projektoren können – durch eingebaute Kameras – die Realität ablichten und gleichzeitig zusätzliche Informationen einblenden. Über eine App des schwedischen Möbelhersteller können zum Beispiel heute schon Artikel im eigenen Wohnzimmer im korrekten Verhältnis und aus richtiger Perspektive dargestellt werden. Auch bei den Autoherstellern schläft man nicht. So sollen in naher Zukunft die Hinweise zur Navigation nicht am kleinen Bildschirm angezeigt, sondern gezielt auf die Windschutzscheibe projiziert werden, so dass diese auf der Fahrspur zu liegen kommen. Das Head-Up-Display war nur der zögerliche Anfang. Auch für die Baubranche eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten: Apps helfen mit 3-D-Renderings Liegenschafen zu verkaufen, lenken den Sattelschlepper, zeigen dem Kranführer, wo die elektrischen Leitungen der SBB verlaufen oder informieren an Info-Points die Besucher gezielter über Baustellen.

Ob diese „erweiterte Realität“ tatsächlich den Siegeszug antritt, der ihr prognostiziert wird, kann ich nicht beurteilen. „Augmented reality“ wird schon seit Jahren als „die Zukunft“ gehandelt. Die Google-Brille ist zwar bereits erhältlich, doch die Zugriffszahlen sind (noch sehr) bescheiden. Neue Anbieter drängen allerdings mit Brillen, Uhren oder sonstigen Geräten auf den Markt und verhelfen den Konzepten vielleicht zum Durchbruch.

Dann entscheidet sich auch, ob es lustig ist, sich tagtäglich mit noch mehr Informationen zubomben – tschuldigung – berieseln zu lassen.

Ausnahmsweise bin ich skeptisch. Aber ich gehöre auch schon zum alten Eisen.