Kaputtes Internet.

Ende der Neunziger Jahre demonstrierte ich meinem Bruder meine neuste Anschaffung: Ein Palm Pilot. Das war damals quasi das heutige Smart-Phone, jedoch ohne Telefon (und zudem war es langsam und wog gefühlte fünf Kilo).

Aber ich konnte meine Termine mit dem Computer abgleichen und hatte meine Zeitplanung im Griff. Meinem Bruder machte das wenig Eindruck. Er nahm seine urzeitliche Papieragenda zur Hand und warf sie gegen die Wand. Mit einer schwungvollen Handbewegung nahm er sie wieder vom Boden auf. Dann setzte er sich mit nicht zu überbietender Lässigkeit neben mich und fragte, ob das mein komisches „Ding“ auch überleben würde? Die Frage habe ich mittlerweile dutzendmal mit „Nein“ beantworten können.

Seit damals habe ich etliche Smart-Phones – im Sinne einer konsequenten und langjährigen Anti-Aggressionstherapie – gegen Wände aller Art geworfen. Dass keines je überlebt hat, liegt an meiner perfektionierten Wurfweise. Bei meinem letzten Wutanfall schleuderte ich es jedoch dummerweise gegen den einen Bildschirm im Büro, welcher rückwärts vom Tisch fiel und den zweiten Bildschirm gleich mitzog: Das war doof.

Es steht ausser Frage, dass intelligente Telefone, smarte Uhren oder mitdenkende Kleider aller Art unser Leben beeinflussen. Ob diese Dinge das Leben auch besser machen, steht nicht zur Diskussion. Wir haben uns dem technischen Fortschritt verschrieben: Programmierbare Geräte sind zu einer modernen (und kaufbaren) Religion geworden.

Ich bin nicht altmodisch, aber eine Zuschrift zur letzten Kolumne hat mich nachdenklich gemacht. Darin fragte mich ein Leser, ob das Internet uns nicht kaputt mache.

Das weiss ich nicht.

Ich weiss aber, dass wir dem Internet den Zugriff auf uns verwehren können. Und dazu braucht es dann und wann einen gezielten Wurf.

Der kann – ganz ehrlich – richtig gut tun.

Die Zukunft ist da.

Vor gut einem Monat wurden in Zürich die «Best of Swiss Web Awards» verliehen. Der Anlass ist viel mehr als nur eine Selbstbeweihräucherung – wie es die ADC-Preisverleihung für Werber (entgegen trotziger Gegenargumente) immer noch ist – der digitalen Industrie. Der erstmalig verliehene «Swiss Digital Transformation Award» ging an die SBB.

In der Argumentation der Jury heisst es, dass «alle SBB-Mitarbeiter mit persönlichen mobilen Endgeräten – und damit mit dem «digitalen Gen» – ausgerüstet wurden und der CEO die strategische Gesamtverantwortung für die digitale Transformation trägt.» Die SBB meint es mit der Digitalisierung ernst.

Schon in wenigen Jahren werden wir amüsiert auf den allerersten «Swiss Digital Transformation Award» zurück blicken. Dass man damals für solch‘ offensichtliche Dinge – wie die digitale Transformation – einen Preis für die Verfolgung ebendieser Strategie auf Scheffebene verliehen hat, wird uns dann erinnern, wie archaisch wir heute im Internet unterwegs sind.

Alles, was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert – so einfach ist das.

Auch in der Bauindustrie ist die digitale Transformation das grosse Thema. Gebäudeautomation oder intelligentes Wohnen sind dabei Schlagworte eines wachsenden Marktes. Dass Google bereits 2014 für drei Milliarden Franken das Unternehmen «Nest» (welches sich mit selbstlernenden Raumthermostaten und Rauchmeldern beschäftigt) gekauft hat, sollte uns «Bauchnuschtis» wach rütteln.

Veränderte Kundenbedürfnisse lassen Unternehmen entstehen, die sich in angestammten Geschäftsfeldern anderer ausbreiten. Dumm dabei ist, wer sich auf Sicherheiten der Vergangenheit verlässt und die Zukunft vergisst.

Die digitale Transformation wird aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen mit der Industrialisierung des 18. Jahrhunderts zu vergleichen sein.

Aber dieses Mal sind wir mit dabei!

Bitte das Internet abschalten.

Vor einigen Tagen erreichte mich per Briefpost (!) ein Kommentar zu einer älteren Kolumne. Darin fragte mich ein Leser (nennen wir ihn Erich), ob man das Internet auch wie ein Buch „zuklappen und weglegen“ könne.

Das ist ja wohl keine Frage, dachte ich vorschnell. Natürlich kann man das Internet „zuklappen und weglegen“. Das geht zwar haptisch nicht so wunderschön wie mit einem Buch, welches man zuklappt und – bevor man es auf den Wohnzimmertisch zurücklegt – noch ein paar Minuten in den Händen hält, um sich gedanklich nochmals der Geschichte zu widmen.

So einfach ist das mit dem Internet nicht. Natürlich kann man – und Sie verzeihen mir das wortgewaltige Beispiel – den Laptop zuklappen und weglegen. Aber spätestens wenn man das schlaue Telefon zur Hand nimmt, ist man wieder online. Doch das Laptop-Beispiel stimmt auch dann nicht, wenn Sie tatsächlich der Minderheit angehören, die kein schlaues Telefon hat. Die E-Mail-Anfragen, Facebook-, Twitter-, Instagram-, Xing- und LinkedIn-Wichtigkeiten ihrer Geschäftspartner, Freunde, Möchtgernfreunde, Hassfreunde und sonstigen Unbekannten erreichen Sie spätestens dann wieder, wenn Sie sich einloggen und auf den Bildschirm starren: Die Online-Welt hat sich trotz sturer Offline-Haltung weitergedreht.

Ganz im Gegensatz zum Buch: Auch wenn man es erst Tage oder gar Wochen später wieder zur Hand nimmt, hat sich die Geschichte nicht verändert. Auch schmücken keine Kommentare den Bucheinband, niemand wird Seitenzahlen oder das Impressum „geliked“ haben und keine „Sie haben diese Seiten schon gelesen“-Warnung poppt auf, wenn man zwei-drei Seiten zurück blättert, um sich der Geschichte zu erinnern.

Ein Buch ist so wunderbar intim: Es gehört nur mir alleine. Und niemand wird meine Seiten „teilen“ oder die dümmsten Stellen „liken“.

Wo war nochmals der Ausschaltknopf?