Sex, Verkehr, Marketing und Apps

Habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Das geht ziemlich einfach. Ein guter Marketingfreund hat mir das vor wenigen Tagen erklärt.

Das ist aber eine Übertreibung und zusätzlich eine Lüge.

Denn gute Marketingfreunde gibt’s letztlich nicht: Die wollen einem nur die neusten Trends und «Insights» erklären und haben – Gott bewahre! – in ihrer Vorstellung mehrmals das warme Wasser erfunden. Doch eine kleine Wortspielerei steckt dennoch im Titel der Kolumne: Sex & Traffic sind aus Sicht des Marketings Synonyme für erfolgreiche Websites. Wo nämlich Sex angepriesen wird, da schnellen die Traffic-Zahlen hoch.

Dass dieser Effekt nicht nur von der Boulevardpresse und den üblichen Pornositebetreibern benützt wird, liegt auf der Hand. Aber – um ebendiese gleich nochmals zu bemühen – Hand aufs Herz: Wer klickt nicht, wenn etwas Unanständiges, Frivoles, Explizites oder Zweideutiges angepriesen wird?

Menschen sind einfach zu durchschauen.

Und damit entlarven Sie mich der Lüge: Der berüchtigte Marketingfreund, den wir quasi als inexistent klassifiziert haben, kann mir nichts Neues erklärt haben, das ich (und Sie) bereits wissen: «Sex sells» ist nämlich Allgemeingut.

Das Problem ist, dass nicht nur Konsumenten auf die visionären Errungenschaften der Marketingfachleute hereinfallen. Auch meine Branche ist davon betroffen: Jahrelang wurden Apps verkauft, wo es keine brauchte (weil mobil optimierte Websites in vielen Fällen genügt hätten und auch heute noch genügen würden). Dabei würden gute Inhalte – ganz sicher – mehr Besucher auf eine Website führen.

Was das nun mit Sex zu tun hat?

Gar nichts:
Aber Sie haben bis hierhin gelesen – und so gesehen dürfen Sie sich als Opfer des Titels bezeichnen.

Wie man Menschen auf die eigene Website lotst, ist unterm Strich eine Frage nach der Wertschätzung der Konsumenten: Man kann sie als hirnlose Masse betrachten oder als intelligente Individuen.

Mir gefällt das Zweite besser.

Gefallen um jeden Preis

Mit dem Aufstieg von Social Media, allen voran Facebook und Instagram, setzen Brands immer mehr darauf, gefallen zu wollen. Das Lechzen nach Likes ist zur Königsdisziplin geworden. Es nützt jedoch herzlich wenig, wenn die Kommunikation am Ende des Tages keine Verkäufe ankurbelt oder der Brand nicht in den Köpfen verankert bleibt. Ein Like aus Fehraltorf ist wertvoller geworden als dass Frau Meier das Produkt kauft.

Realitätsfremde Theoretiker in Werbung und Marketing huldigen dem Irrglauben, man müsse „Beziehungen“ und „emotionale Bindungen“ zu Produkten und Brands schaffen. Es genügt nicht, dass Produkte gekauft werden: Fans und Followers müssen her! Das Resultat solcher Aktivitäten ist katastrophal: belanglose Social Media Posts von Brands, die verzweifelt um Anerkennung winseln, aber keine Kassen klingeln lassen.

Neben mir liegt eine Banane, die ich bei Coop gekauft habe. Keine Ahnung wie ich mich bezüglich der Banane fühle. Oder was ich über die Banane denke. Geschweige denn was ich über den Brand Coop denke. Die Standardfrage in der Schweiz lautet „Bist du ein Migros-Kind oder ein Coop-Kind?“ Ich bin ein Coop-Kind. Zur Zeit. Weil der Coop gleich um die Ecke ist. Und am Samstag mutiere ich zum fremdgehenden Konsumenten: Ich gehe in die Migros, weil ich dann etwas mehr Zeit habe. Es könnte keine geringere Rolle spielen, ob mir diese beiden Brands gefallen oder nicht, wichtig ist, dass die Produkte keine Ladenhüter bleiben.

Die meisten Social Media Aktivitäten von Brands ignorieren eine Tatsache: Menschen stehen Produkten und Brands ziemlich gleichgültig gegenüber, auch wenn sich Brands noch so gerne als eine wichtige moralische Instanz im Leben der Menschen verstehen möchten. Verschwindet heute ein Brand, taucht morgen ein anderer auf. Kein Mensch wird deswegen in eine Sinnkrise schlittern.

Je schneller Brands sich ihrer kommunikativen Kosmetik entledigen und sich auf die Bewerbung ihrer Produkte konzentrieren, umso eher werden die Verkäufe steigen. Das ist der Zweck kommerzieller Kommunikation, nicht die Befriedigung der Gefallsucht mittels Facebook Likes, Instagram Herzen und Tweets.

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Parvez Sheik Fareed

Das ist ein Gastbeitrag von Parvez Sheik Fareed.

Dienstleistung? Nö!

Nichts ist anstrengender als Technologie, die nicht das tut, was sie tun sollte. Noch mühsamer aber sind Unternehmen, die die technologischen Möglichkeiten heutiger Zeiten einsetzen, aber damit nicht umzugehen wissen.

Wenn ein Geschäftspartner, der seit Monaten eine neue Wohnung sucht, auf einer Vermietungswebsite eines Neubaus in Wallisellen den «Rückruf»-Button klickt, seine Personalien und Handy-Nummer hinterlässt, aber noch Wochen später auf den erwünschten Rückruf wartet, dann ist das – diplomatisch formuliert – einfach nur dumm seitens des Generalunternehmers.

Ähnliche Dinge aber häufen sich in meinem Bekanntenkreis: Mir wird von bestätigten Online-Reservationen in Restaurants erzählt, die aber an besagtem Datum ferienhalber geschlossen haben, aber auch von unbeantworteten Formularanfragen, von vergessenen Online-Bestellungen (!?) etc.

Solche Probleme deuten auf ein interessantes Phänomen hin: Nur weil es heutzutage einfach(er) ist, technologische Hilfsmittel einzusetzen, heisst das nicht, dass die nötigen Kenntnisse über alle (geschäftsrelevanten) Konsequenzen vorhanden sind.

Auch darum ist ein guter Web-Berater heutzutage viel mehr als nur ein empathischer Händchenhalter ob aller Internetmöglichkeiten verunsicherter Geschäftspartner: Er muss nicht nur die technischen Möglichkeiten im Web kennen, sondern Kunden auch in internen und geschäftsrelevanten Prozessen unterstützen und beraten können – zumindest, wenn sie eine Schnittstelle zum Internet haben.

Mit ausgedruckter Reservationsbestätigung vor verschlossenen Türen zu stehen, ist ziemlich nervig. Noch ermüdender ist’s, wenn in unmittelbarer Nähe kein gleichwertiges Restaurant zu finden ist: Aus der missglückten Tischreservation wird dann eine ungewollte Mittagsdiät.

Knurrende Mägen aber – so pflegte meine Grossmutter zu sagen – verzeihen nicht!