Baustellenbeschriftungen.

Ein Artikel über die Baustellenbeschriftungen der Stadt Zürich hat im Tages-Anzeiger einige Kommentare provoziert. Beziehungsweise haben – um es in den Worten eines Redaktors der Süddeutschen Zeitung zu formulieren – einige Wichtigtuer, Besserwisser und Ewignörgler per Kommentarfunktion ihrem Unmut freien Lauf gelassen. Daneben haben auch zwei, drei Leser notabene auch lesenswerte Kommentare publiziert – auch das soll erwähnt sein.

Ich bin ein grosser Fan der Baustellenbeschriftungen, die unter der Verantwortung von Filippo Leutenegger seit gut einem Jahr in Zürich aufgestellt werden. Aber natürlich gäbe es Verbesserungspotenzial: Die Farbwahl ist gewöhnungsbedürftig, die Informationen sollten sowohl für Autofahrer und Velofahrer (grosse Typo, wenig Text) wie auch für Passanten (kleine Typo, mehr Text plus Webadresse plus QR-Codes) aufbereitet sein und die Tafeln müssten teils besser platziert werden. Solche Tafeln befriedigen – das ist meine bescheidene Meinung – ein wichtiges Informationsbedürfnis und müssten auf weiterführende Informationen, die man auf den regulären (orangenen und weissen) Umfahrungs- und Infotafeln der Dienstabteilung Verkehr nicht findet, verweisen. Mit einem QR-Code könnten die Passanten die Baustelleninformation im Web aufrufen, sich weiter einlesen, die Baustellenleitung kontaktieren, ein Lob als Kommentar hinterlassen (würde ganz sicher nie passieren) oder eine Reklamation formulieren (würde ganz sicher oft vorkommen). Aber jedenfalls wäre damit auch das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement im 21. Jahrhundert angekommen.

Übrigens: Nicht alle Kommentare beim Tagi-Artikel waren unsinnig. Dennoch erstaunt es mich immer wieder, wie bitterböse Autofahrer, Velofahrer und Fussgänger miteinander umgehen – und dies wohlgemerkt nicht nur im realen Leben, sondern auch im pseudoanonymen Schlachtfeld der Kommentarfunktionen.

Und da sah Rotkäppchen, dass es gut war.

Um Aufmerksamkeit zu erregen, bedarf es mehr, als nur Informationen und Fakten vorzulegen. Mit guten Geschichten können Zielgruppen auch heute unterhalten und angesprochen werden. Die Methode dazu heisst „Storytelling“.

Dass im Titel etwas nicht stimmt, fällt augenblicklich auf. So etwas hat das Rotkäppchen nie gesagt: Die Kleine unterhielt sich mit dem Wolf, wunderte sich später im Märchen über das Aussehen ihrer Grossmutter, erkannte den Wolf nicht und wurde gefressen.

Stopp! Darum geht’s doch in diesem Artikel gar nicht?

Da haben Sie natürlich Recht – aber der Titel verführt zum Lesen. Geschichten schaffen Bilder in unseren Köpfen, lösen Emotionen aus und lassen sich gut merken. Unbewusst ist sofort klar, dass der Titel nicht stimmen kann. Denn die Welt wurde – welch‘ Glück – von jemand anderem als dem Rotkäppchen geschaffen.

Aber hätte der Artikel mit einer sachlichen Einleitung – zum Beispiel: „Beim Storytelling, das im weitesten Sinne eine Disziplin des Content-Marketings darstellt, werden Geschichten erzählt“ – angefangen, wäre wohl einfach umgeblättert worden. Der Begriff „Storytelling“ ist auch mit wenig Vorkenntnissen gut zu verstehen: Es geht um Geschichten.

Aber diese Erkenntnis wird kaum irgendeinen vom Stuhl hauen. Die Frage sei daher erlaubt, warum die Storytelling-Methode so hochgejubelt wird.

Die Antwort ist beängstigend einfach: Die Methode bedeutet einen Paradigmenwechsel in der klassischen Unternehmenskommunikation und eröffnet neue Möglichkeiten: Die Einweg-Kommunikation des letzten Jahrtausends ist heute nicht mehr gefragt, aber auch die einfache Produkt- oder Dienstleistungskommunikation der letzten Jahre hat ausgedient. Um Kunden und Geschäftspartner zu erreichen, sind heutzutage gute Geschichten gefragt. Das tönt einfacher als es ist, denn Unternehmen haben den Drang, aus den eigenen Produkten und Dienstleistungen massenhaft lustige, drollige, spassige und humorvolle Geschichten zu basteln, dabei ins Sinnlose ausufern und mit Mehrfachwiederholungen den Leser quälen. Oder anders formuliert: Dass man Mamma und Papa zuhören soll, haben viele Kinder beim Rotkäppchen gelernt und nicht beim wiederholten „Jetzt pass aber auf!“ vom Papa.

Unter Storytelling versteht man die Kunst, Unternehmen und Produkte oder Dienstleistungen in Geschichten zu verpacken und diese pointiert zu formulieren, so, dass sich die anvisierte Zielgruppe angesprochen fühlt. Dabei gilt es im Detail (und im Voraus) zu analysieren, was die Adressaten interessiert, denn die eigene Produkt- und Dienstleistungsliste mag für die Geschäftsleitung und die Produktmanager den ganzen Firmenstolz darstellen, aber für die Leser ist es sicherlich interessanter, was mit ebendiesen Produkten oder Dienstleistungen gemacht bzw. gelöst bzw. erlebt werden kann. Das ist letztlich der Grundgedanke beim Storytelling: Mit der Methode erarbeitet man das Raster für Geschichten, die dann Werte transportieren, Wissen vermitteln, Visionen skizzieren und Produkte gegenüber der Konkurrenz abgrenzen. Das schafft keine Hochglanz-Produktbroschüre und auch kein benutzerfreundlicher Dienstleistungsnavigator auf der Website.

Beispiel? Ein Tunnel ist ein paar Kilometer lang und beim Tunnelbau wurden mehrere Kilometer asphaltiert und nun kann man durch den Tunnel fahren. Das mag zwar sachlich richtig sein, ist aber dennoch langweilig. Es gäbe einige spannendere Geschichten, die man über einen Tunnel erzählen könnte: Es war ein Volksentscheid, der die Finanzierung sicherte; die Planung und der Bau waren eine ingenieurtechnische Meisterleistung, der Tunnel verbindet Menschen; es wachsen zwei Regionen zusammen; Menschen interagieren, Freundschaften werden geknüpft; der lärmige Verkehr über die Passstrasse ist Vergangenheit; die Natur wird geschützt, seltene Tierarten kehren zurück; mit dem Aushub wird das Matterhorn erhöht, etc.

Mit der Storytelling-Methode wird die Kommunikation eines Unternehmens zu einer Geschichte, die sich auf Produkt-, Dienstleistungs-, Mitarbeiter- oder Unternehmensebene beliebig skalieren lässt. Fragen, die es zu beantworten gilt, sind beispielsweise: Was ist am Unternehmen interessiert? Was können die Produkte? Wo helfen die Dienstleistungen? Wie kann die Zielgruppe zur Interaktion involviert werden? Welche Fakten gibt es? Wieso passen die Produkte zur Vision des Unternehmens? Welche Mitarbeiter tragen zum Erfolg bei? Worauf basiert überhaupt der Grundgedanke des Unternehmens? Etc.

Erst dann wird eine Content-Strategie erarbeitet, welche die möglichen Inhalte der Unternehmenskommunikation kurz-, mittel- und langfristig plant, bündelt und für verschiedene Formen und Formate zur Ausarbeitung gibt. Dass die Content-Strategie dabei der übergeordneten Unternehmensstrategie entsprechen muss, versteht sich von selbst.

Erschwerend kommt sicherlich hinzu, dass im Zeitalter des Internets nicht nur eine Geschichte erzählt werden muss, sondern dass sie auch über die verschiedenen Kanäle und Formate in sich konsequent sein muss – ohne dabei den Konsumenten mit Wiederholungen zu langweilen. Gute Geschichten lösen Emotionen aus, unterhalten kurzweilig, sind nützlich und informieren sachlich.

Das macht eine erfolgreiche Unternehmenskommunikation im 21. Jahrhundert aus.